Die apokalyptische Weltuntergangswaffe der Russen

Was tatsächlich ist und was russische Propaganda und Medien daraus machen

Der „Torpedo“, der England überschwemmen soll

Tatsächlich gibt es diese Poseidon. Viel ist über sie nicht bekannt.
Um einen genaueren Eindruck zu bekommen, muss man sich also das anschauen, was die Geheimdienste darüber inzwischen veröffentlicht haben. Die natürlich schon weit mehr wissen, als sie öffentlich Preis geben.

Die Poseidon (NATO-Name Kanyon) wurde bisher nur als „Status-6“ bezeichnet. Es ist eine Drohne, also ein unbemanntes Unterseeboot. Das aber nicht wie ein Torpedo ihr Ziel selber sucht, sondern irgendwie von außen gesteuert wird.
Diese Drohne könnte dann von den beschriebenen Schiffen wie der Belgorod abgesetzt werden.

Vladimir Putin hat diese Drohne 2018 vollmundig als neue strategische Waffe angekündigt, zusammen mit den Hyperschallraketen.
Offenbar gibt es bereits seit 2016 Tests dieses Systems.

Die Realitäten

Der wissenschaftliche Dienst des Kongresses (Congressional Research Service) ist ein Think Tank der US-amerikanischen Regierung. Er bereitet auch geheimdienstliche Informationen für die Politiker auf. Und der hat im April ein Memo zu diesen von Putin angekündigten Waffen veröffentlicht.
Und er kommt zu der Poseidon zu einem etwas anderen Schluss als der Propaganda-Chef des Kreml. Wobei die Formulierung „etwas anders“ beschönigt ist.

Die Poseidon wird vermutlich Sprengköpfe bis zu zwei Megatonnen tragen können. Nicht, wie von Kisseljow behauptet, 100 Megatonnen. Und selbst diese zwei Megatonnen beruhen auf Aussagen der Russen.
Die größte, jemals getestete nukleare Bombe war die so genannte Zar-Bombe mit 50 Megatonnen. Es ist absurd zu glauben, dass eine Unterwasserdrohne das nun verdoppeln könnte. Zumal der militärische Zweck für sowas mehr als fragwürdig ist.

Um eine Relation zu geben: Der 2004 durch ein Erdbeben ausgelöste Tsunami hatte die höchste gemessene Höhe bei 30 Metern. Dazu war das stärkste, jemals gemessene Erdbeben nötig, auf der Skala 9,1. Dabei wurde eine Energie von 475 Megatonnen freigesetzt.
Nicht zwei, nicht 100, sondern 475. Und es hat viele Länder in Mitleidenschaft gezogen. Aber dennoch keins existentiell bedroht, geschweige denn überschwemmt.

Darüber, dass weite Teile Großbritanniens über 500 Metern über dem Wasserspiegel liegen, muss man dann sicher nicht mehr diskutieren.

Der CRS geht davon aus, dass diese Poseidon Drohnen frühestens ab 2027 einsatzbereit sein werden.

Eine unaufhaltbare Waffe?

Natürlich weist Kisseljow auch darauf hin, dass diese Drohnen nicht zu stoppen sind. Weil sie so tief und mit dieser Geschwindigkeit ins Ziel steuern würden.

Das ist selbstverständlich ebenso quatsch. Denn umso schneller ein Torpedo oder eine Drohne wird, umso lauter wird sie. Und umso lauter sie wird, umso leichter ist sie zu orten. Was den Vorteil der Geschwindigkeit wieder ausgleicht. Selbst wenn sie die behauptete Geschwindigkeit von knapp 200 km/h erreichen könnte. Was allgemein angezweifelt wird. Denn unter Wasser kann so etwas ja auch von vorne durch Torpedos oder sogar Wasserbomben bekämpft werden.
Und die Tiefe wird zwar bis zu 1000 Metern angegeben. Der Einsatz dürfte aber weit darüber liegen.

Das alles gilt jedoch, ebenso für die in mystische Höhen erhobenen Hyperschallraketen, erst dann, wenn sie eingesetzt sind. Sie müssen aber irgendwie noch dahin, wo sie eingesetzt werden. Also per Schiff (noch gar nicht serienreif), per Flugzeug oder wie in diesem Fall mit dem U-Boot. Und da haben die Regeln sich nicht geändert: Ein kleiner Jäger kann auch eine Oscar II versenken. Völlig egal ob sie strategische Raketen oder Poseidon Drohnen an Bord hat.

Die bereits veröffentlichten Überlegungen zur Abwehr zeigen, dass daran längst gearbeitet wird. Wenn Russland Pech hat, sind die Gegenmaßnahmen einsatzbereit, bevor es die Poseidon ist. Dann hat es erneut sehr viel Geld zum Fenster rausgeworfen.
Mindestens die USA und China sind längst an dem Thema dran.

Die Eskalation der Medien

Der auslösende Artikel stammt offenbar vom Stern. Dort veröffentlichte Gernot Kramper – eigentlich „Redakteur im Autoressort“ – eine kurze Übersicht zur Übergabe der Belgorod. Die aber recht sachlich gehalten ist. Zumindest im Anbetracht der Länge.

Allerdings titelt der Stern bereits „Belgorod – Putin stellt seine Waffe für den Weltuntergang in Dienst“. (Was falsch ist, sie ist frühestens in einem Jahr im Dienst.) Was natürlich bei vielen die Vorstellung entstehen lässt, diese Waffe soll den Weltuntergang auslösen. Doch das ist damit gar nicht gemeint.

Wie bereits erläutert sind alle diese U-Boote (und Flugzeugträger etc.) Waffensysteme, die auch noch funktionieren sollen, wenn der Atomkrieg ausbricht. Deshalb werden sie auch als Drittschlagwaffen bezeichnet.
Feuert ein Land nukleare Waffen auf ein anderes, ist das der Erstschlag. Dieses Land antwortet dann – zu weiten Teilen automatisiert – mit dem Zweitschlag. Indem es alle seine nuklearen Waffen auf den Angreifer abfeuert.

Nachdem die Abwehr dieser Waffen aber immer besser geworden ist, verliert dieser Zweitschlag seine abschreckende Wirkung. Das Gleichgewicht der Abschreckung könnte dadurch nicht mehr gegeben sein.
Also werden Waffensysteme ersonnen, die auch nach dem Zweitschlag noch selbstständig Waffen abfeuern können. Selbst wenn das eigene Land schon in Schutt und Asche liegt.

Als Beispiel kann die amerikanische Ohio Klasse in die Nordsee fahren und Atomraketen auf Moskau feuern. Ohne dabei aufzutauchen. Und das ist Stand der 1990er. Davon haben die USA alleine 18.
Aber das können auch Jagd-U-Boote, beispielsweise der Virginia Klasse. Und von solchen haben die USA alleine über 80. Und weitere werden gebaut und eine neue Klasse ist geplant.

Diese Entwicklung ist also nicht neu. Wie der Film „Jagd auf Roter Oktober“ mit Sean Connery in der Hauptrolle aus dem Jahr 1990 zeigt. Der Autor der Vorlage Tom Clancy (Jack Ryan Romane) gehörte zu den ersten Zivilisten überhaupt, die ein solches Atom-U-Boot überhaupt betreten durften. Worüber er auch ein Sachbuch veröffentlicht hat.

RTL hat dann offenbar diesen Artikel von Gernot Kramper vom Stern gekauft und veröffentlicht. Im Titel wird dort aus der „Waffe für den Weltuntergang“ eine „apokalyptische Waffe“.

Andere Medien haben die Meldung dann bis gestern selber aufgegriffen. Und berichten zum Teil mit einem eher oberflächlichen Verhältnis zu den Realitäten. Plötzlich wird der Belgorod eine „gewaltige Zerstörungskraft“ attestiert. Obwohl sie nicht einmal Raketen an Bord hat. Und aus den Poseidon Drohnen werden Torpedos. Angeblich zitiert von einem „Waffenexperten“.

Unterm Strich

Russland versucht verzweifelt eine Drohkulisse aufzubauen, Ängste zu schüren und den „dekadenten Westen“ dadurch zu schwächen. Dazu kündigt es „neue“ strategische Waffen an.
Da diese aber entweder noch gar nicht einsatzbereit sind, oder deren Mehrwert mindestens fraglich ist, werden Meldungen dazu aufgebauscht.

Ein U-Boot, das seit 1992 gebaut wird, ist nun endlich fertig.
Der Chef-Propagandist des Kreml bauscht das durch Drohungen und Angaben auf, die völlig absurd sind und schon bei oberflächlicher Betrachtung in sich zusammenfallen.

Die Medien greifen diese Meldung auf und verwursten die Informationen um Klicks zu generieren. Offenbar gestützt auf ein stabiles Fundament der Inkompetenz. Andere Medien hängen sich dran und drehen die Eskalationsspirale der Überschriften noch weiter.

Und so wird aus einem eigentlich unbewaffneten Atom-U-Boot in der Wahrnehmung von Laien eine „apokalyptische Waffen“ mit „gewaltiger Zerstörungskraft“; gebaut um die Welt zu zerstören.

In keiner einzigen Veröffentlichung ist zu lesen, dass das Boot noch gar nicht einsatzbereit ist, dass die eigentliche Waffe frühestens 2027 kommen soll und dass die NATO und sogar China längst bescheid wissen.

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